09.11.2005 • Automatisierung • Industrie-PC • IT und Automatisierung

Wie PCI, aber deutlich anders

Bericht von Hermann Strass

Die Lobeshymnen über PCI Express (PCIe) sind im Heim- und Bürobereich noch nicht verstummt. Diese Technik wird inzwischen auch im industriellen Bereich (Automation, Steuerung, Testen & Messen, Überwachung) sehr intensiv genutzt: Die Industrie erkannte die Vorteile, die PCIe gegenüber PCI unzweifelhaft hat. Das sind die höhere Datenübertragungsrate und die flexiblere Konfiguration: Auf der höheren Ebene der Anwendungssoftware sind fast keine Änderungen nötig.

Schneller Bus
Der Geschwindigkeitsvorteil wird immer besonders betont. Bei parallelen Systemen wird die Übertragungsrate üblicherweise in Bytes (Megabyte, Gigabyte) angegeben. Bei seriellen Verbindungen wird mit Bits (Megabit, Gigabit) gerechnet. Ein Byte besteht normalerweise aus acht Bit. Bei der seriellen Übertragung wird ein Byte aus acht Bit auf zehn Bit erweitert (8B/10B-Konvertierung). Dies wird übertragen und auf der Empfangsseite wieder in ein Byte aus 8 Bit zurückgewandelt. Beim Vergleich von paralleler und serieller Übertragung muss bei den seriellen Werten also durch zehn geteilt werden, um die vergleichbare Anzahl von Bytes zu ermitteln. So entsprechen die 2,5 GHz pro Lane bei PCIe etwa 250 MB bei einer parallelen Übertragung. In einem 32-Bit-PCI-System (4 Byte parallel), das mit 66 MHz getaktet wird, können theoretisch 4 x 66 = 264 MB übertragen werden. So ist also eine PCIe-Lane etwa so schnell wie ein 32-Bit/66-MHz-PCI-System. PCI-Systeme gibt es auch noch doppelt so breit (64 Bit) und zusätzlich doppelt so schnell (133 MHz bei PCI-X). Es gibt aber einen prinzipiellen Unterschied, der parallele Systeme gegenüber seriellen Systemen deutlich abschwächt: Der parallele Bus ist nur einmal für die Sende- und für die Empfangsrichtung und für alle Busteilnehmer vorhanden. Wird etwa gleich viel gesendet wie empfangen, steht jeweils nur die halbe Übertragungsrate zur Verfügung. Sind mehr als zwei Teilnehmer am parallelen Bus angeschlossen, dann müssen sich alle um die nur einmal verfügbare Übertragungsrate streiten. Bei PCIe besteht jede Lane aus einem Sende- und aus einem Empfangssignalpaar. Es kann also in beide Richtungen unabhängig und mit voller Geschwindigkeit übertragen werden. Im Regelfall stehen in jedem PCIe-System viele Lanes einzeln (x1) oder gebündelt (x2, x4, … x32) zur Verfügung. Bei ähnlicher Basisdatenrate können also serielle PCIe-Systeme aufgrund dieser grundsätzlich anderen Bedingungen um Größenordnungen mehr übertragen, sofern diese Datenmengen intern bereitgestellt und empfangen werden können.

PCIe in der Industrie

Bei industriellen Anwendungen gelten deutlich andere Anforderungen als beim heimischen oder Büro-PC. Geschwindigkeit ist bei Steuerungsaufgaben nicht besonders wichtig, mit Ausnahme bei der Übertragung großer Datenmengen, die aber nicht unbedingt etwas mit der Steuerung zu tun haben. Besonders wichtig ist der deterministische, zuverlässige Betrieb in Echtzeit. In den meisten Fällen ist nicht die Schnelligkeit sondern der genaue Zeitpunkt einer Aktion wichtig. Deutlich umfangreicher sind die Anforderungen an die Flexibilität der Systeme in der Industrie (Automation, Medizin, Steuerung oder Wissenschaft) und deren Betrieb in einer widrigen Umgebung. Die Vielfalt der industriellen Anwendungen ist um einige Größenordnungen größer als bei Heim- und Büro-Anwendungen. Dementsprechend sind die Stückzahlen gleichartiger Systeme besonders gering. Die vorgenannten Kriterien, und noch einige mehr, spielen eine Rolle bei der Definition und bei der Beurteilung von PCIe-Anwendungen in der Industrie.

PCIe-Technik

Der wichtigste Unterschied zwischen PCI und PCIe ist der Wechsel von einem parallelen Bus zu seriellen Einzelverbindungen. Beim Parallelbus müssen unter Umständen bis zu 64 Datenleitungen gleichzeitig geschaltet werden. Bei der 66-Hz-Variante von PCI muss das innerhalb des gesamten Systems auf die Nanosekunde genau sein. Mit einer Bustaktflanke werden also sehr große Gesamtströme durchgeschaltet. Das gibt erhebliche Probleme. Bei der seriellen Einzelverbindung ist die Strommenge je Leitung (Doppelader in LVDS-Technik) gering. Wegen der höheren Taktrate (75-fach, von 33 MHz auf 2,5 GHz) ergeben sich aber wieder andere Probleme hinsichtlich der Signalqualität. Die Immunität gegenüber Störungen und gegen die Aussendung von Störungen ist, bedingt durch die LVDS-Technik, bei den derzeitigen seriellen Übertragungsraten beherrschbar. Von Ausnahmen abgesehen, werden meist mehrere Lanes logisch zusammengeschaltet. Eine Lane besteht aus zwei Doppeladern, je eine zum Senden und eine zum Empfangen. Werden diese gebündelt, um höhere Transferraten zu erreichen, dann ist dies wieder ein Parallelbetrieb, aber rein technisch ist jede Lane für sich autonom. Allerdings gibt es dann wieder ähnliche Probleme, wenn viele Lanes (fast) gleichzeitig geschaltet werden. Die unabhängigen parallelen Datenströme müssen beim Empfänger in einem Pufferspeicher in die richtige Reihenfolge sortiert werden. Übertragungsfehler können erst festgestellt werden, wenn ein Datenpaket oder die zur Fehlerermittlung zusammengefasste Datenmenge, übertragen, sortiert und überprüft wurde.

Formenvielfalt

Bei Heim- und Bürosystemen werden immer die gleichen mechanisch-elektrischen Baugruppenvarianten eingesetzt. Das gilt allerdings nur für Form und Größe des Festhaltebügels und weitgehend für die Steckverbinderseite. Für industrielle Anwendungen gibt es mehrere Dutzend, zum Teil deutlich unterschiedliche Formen und Baugrößen, für die Steckkarten, Steckverbinder und Systemgehäuse. Diese Vielfalt wird durch den Übergang auf PCIe zunächst noch größer. Bei einigen Systemvarianten wird PCIe „irgendwo“ noch zusätzlich berücksichtigt. Bei anderen Varianten werden ganz alte Schnittstellen (ISA, ATA oder andere) durch PCIe-Signale ersetzt. Das geht aber nicht immer ohne Probleme. Die „alten“ Steckverbinder sind nicht für symmetrische Übertragung (differential) und schon gar nicht für die hohen Taktraten geeignet. Es gibt auch radikal neue Systemvarianten, nur mit „neuen“ Schnittstellen, wie PCIe, SATA und anderen. PCIe macht keine Vorgaben zur Anzahl der Lanes, die gebündelt werden sollen. Das hat aber großen Einfluss auf die Steckverbindervarianten und auf die mechanischen Baugrößen. Erlaubt sind die Varianten x1, x2, x4, x8, x12, x16 und x32. Derzeit werden die Varianten x2, x12 und x32 (noch) nicht oder nur selten eingesetzt. Natürlich kann bspw. eine x4-Variante auch als eine 4 x (x1)-Variante genutzt werden. Das ergibt mögliche Probleme bei der Nutzung im System, weil diese Varianten ja äußerlich nicht zu unterscheiden sind.

Migration
Für jede bisher vorhandene PCI-Variante wird, soweit als möglich, eine Migrationsmöglichkeit angeboten. Bei den PC-ähnlichen Varianten mit Kartenrand-Steckverbindertechnik werden die verschiedenen Schnittstellen mechanisch hintereinander an einer Längskante der Karte angeordnet. Ein Beispiel dafür ist in der Spezifikation PICMG 1.3 „System Host Board“ (SHB) definiert. Diese werden über Steckbrücken (jumpers) vorkonfiguriert. Bei der Initialisierung wird die lokal erreichbare Übertragungsgeschwindigkeit eingestellt, die über link training / auto-negotiation ermittelt wird.

Modulare Stecksysteme
Unter dem Begriff modulare Stecksysteme werden die Karten und Rückwände mit „richtigen“ Steckverbindern von solchen abgegrenzt, die auf der Kartenseite „nur“ vergoldete Leiterbahnenden als Steckkontakte nutzen. Diese unzuverlässige Stecktechnik kann bei vielen industriellen Anwendungen nicht eingesetzt werden.

Bei CompactPCI-Systemen mit CPCIe-Zusatz wird häufig eine hybride Rückwand (backplane) genutzt. Dabei wird ein Steckplatz mit einer Brückenplatine und aktiver Logik (PCIe-to-PCI bridge) belegt. Der Brücken-Chip kann auch „irgendwo“ auf der Rückwand integriert werden. Das spart einen Steckplatz, bringt aber aktive Bauelemente auf die Rückwand. Das ist bei industriellen Anwendungen (Automation, Steuerung) nicht erlaubt. Im Fehlerfall müsste der ganze Rechner zerlegt werden, selbst wenn nur getauscht wird.

Besonders interessant ist die von MEN und Schroff entwickelte Platz sparende Lösung mit nur einer CPU, die beide, nicht-kompatiblen Systeme (PCI und PCIe), betreiben kann. Es wird kein Steckplatz benötigt und die Rückwand wird nicht mit aktiven Bauelementen bestückt. Eine „ganz normale“ CPCI-Systemkarte kann mit einer angesteckten „Side-Card“ erweitert werden. Die Side-Card bringt CPCIe mit System-Slot-Funktion auf die Rechner-Rückwand. Dabei wird die in neueren Chip-Sets (915, 945) von Intel bereits integrierte Brückenfunktion (PCIe – PCI) direkt genutzt. Externe Brücken werden also nicht mehr benötigt. Diese Lösung ist besonders flexibel und preisgünstig, weil nur eine Systemkarten-Variante benötigt wird. Peripheriekarten (I/O cards) können je nach Bedarf auf der jeweiligen Seite dazugesteckt werden. Neuere Systemkarten (F14, F15, F17, F18) von MEN sind ohne oder mit CPCIe-Side-Card (F602), auch für den erweiterten Temperaturbereich in Automationsanwendungen erhältlich.

PICMG hat eine reine CPCIe-Lösung für CPCI-Umgebungen unter der Bezeichnung PICMG EXP.0 spezifiziert. Neben einer Systemkarte wurden noch Peripheriekarten und -steckplätze (Type 1 & Type 2 peripheral), Hybrid und Switch Boards definiert. Diese Slot-Funktionen werden in der Lösung von MEN und Schroff genutzt.

Embedded-Varianten
Besonders groß ist die Vielfalt bei den kleinen, integrierten (embedded) Systemen. Dazu gehören COM Express (PICMG), COM Express Compact (Congatec), EPIC Express, ETX Express (ähnlich COM Express), PC/104express, XTX und viele andere. Diese bestehen sehr häufig aus zwei zusammengesteckten Teilen. Bei den ersten Systemen waren die Systemfunktionen (CPU, zentrale Steuerung) auf einer etwas größeren Basisplatine (motherboard, base board) gebündelt. Die Ein-/Ausgabe-Schnittstellen wurden auf der meist einzigen Steckkarte (als Aufsteckmodul in Sandwich-Technik) zusammengefasst. Es hat sich aber herausgestellt, dass es bei den CPUs alle paar Monate neue (bessere?) Chips gibt. Bei den E/A-Schnittstellen ändert sich of über Jahre hinweg nur wenig oder nichts. Daher gibt es inzwischen viele Varianten, bei denen die E/A-Schnittstellen und Funktionen auf der etwas größeren Basisplatine gebündelt werden. Die Systemfunktionen (insbesondere die CPU / der Mikroprozessor) sind auf einer häufig zu wechselnden kleineren Aufsteckkarte untergebracht. Diese logische Umkehr gibt es auch bei einigen Aufsteckmodulen (mezzanines) für CPCI und VME. Dazu gehören AMC, ESM, M-Module, PC∙MIP, PMC und andere.

Weitere PCIe-Vorschläge
Für das in den USA sehr beliebte PC/104-Kartenformat und seine Derivate gibt es besonders viele Vorschläge wie PCI auf dieses Kartenformat gebracht werden soll. Die Lösung von Digital-Logic wurde schon beschrieben. Fastwel aus Moskau hat nach eigenen Angaben die erste Lösung mit PCIe-Steckverbinder auf einer PCI/104+-Platine (CPC1700) gefertigt. Von Advantech gibt es mehrere unterschiedliche Vorschläge für den Einsatz von PCIe in PC/104-Varianten.

Schlussbemerkungen
Die große Vielfalt an kleinen Systemen in industriellen Anwendungen ist teilweise durch die Anwendungsvielfalt bedingt. Nur ein einziger Standard wäre undenkbar. Natürlich sollten es nicht mehrere Dutzend verschiedene Varianten sein. PCIe bringt zunächst eine noch viel größere Vielfalt, weil viele der vorhandenen Varianten gleich auf mehrere Arten mit PCIe beglückt werden. Ganz neue kommen noch hinzu. Neben diese Vielfalt müssen natürlich noch die speziellen Probleme für die Automation und andere industrielle Anwendungen berücksichtigt werden. Da ist einmal der sehr viel weitere Temperaturbereich, oft von -40 °C bis +85 °C, und das manchmal auch noch ohne rotierenden Lüfter. In manchen Anwendungen wird der Rechner gerüttelt und geschüttelt, wie bei einem starken Erdbeben oder bei einer schnellen Fahrt über die Schotterpiste. Und dann soll alles fehlerlos über viel Jahre hinweg ohne Wartungsaufwand betrieben werden. Das sind harte Zeiten für die schnelle aber empfindliche PCIe-Technik aus der Heim- und Bürowelt. Aus den vorgenannten Gründen sind die Komponenten auf Platinen für industrielle Anwendungen nicht gesockelt, sondern gelötet. Sie müssen also sehr zuverlässig ausgesucht werden, weil ein Reparaturtausch nicht in Frage kommt.

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